Biografie

(Von Ernst Probst, ergänzt von J. Naumann)

Elsa Brändström – Der Engel von Sibirien

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Hohe Verdienste bei der Versorgung deutscher und österreichischer Kriegsgefangener in Russland und bei ihrer Rückführung in die Heimat erwarb sich von 1914 bis 1920 die schwedische Abgeordnete des Roten Kreuzes, Elsa Brändström (1888/1948). Während ihrer segensreichen Arbeit kam sie in Lagern, Gefängnissen, Bergwerken und Lazaretten mit etwa 700000 Gefangenen in Verbindung. Ihre dankbaren deutschen und österr./ ungarischen Schützlinge verliehen ihr den Ehrentitel Engel von Sibirien. Darüber hinaus kümmerte sich um deutsche Kinder, deren Väter aufgrund der Strapazen und Seuchen in der russischen Gefangenschaft nicht mehr zurückkamen. Zur Erinnerung:

1. Weltkrieg 19 14 – 19 18
Gefallene:

Deutschland 2.000.000
Russland 1.700.000
Frankreich 1.400.000
Österreich-Ungarn 1.200.000
Serbien 1.100.000
Großbritannien 950.000
Italien 500.000

Kriegsgefangene der Mittelmächte in Russland

Deutschland 160.000
Österreich-Ungarn 2.100.000
Rund von ihnen 500.000, jeder 5., sterben in Gefangenschaft!

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 sah Elsa Brändström bei der Besichtigung des Nikolai-Hospitals in Sankt Petersburg erstmals die Not und das Elend deutscher und österreichischer Kriegsgefangener. Sie meldete sich zusammen mit ihrer Freundin Ethel von Heidenstam (1881/1979) zum russischen Krankenpflegedienst. Ab 1915 traten die beiden Frauen in die Dienste des Schwedischen Roten Kreuzes. Als Delegierte des Schwedischen Roten Kreuzes reiste sie durch ganz Russland und bis in die entferntesten Gegenden Sibiriens.

Beim ersten Besuch eines russischen Lagers in Sibirien bot sich Elsa Brändström ein Bild des Grauens. In für 500 Menschen gedachten Baracken vegetierten mehr als 800 deutsche und österreichische Soldaten dahin. Die Holzschuppen sind von früher her mit Flecktyphus infiziert gewesen, es gab keine Bademöglichkeiten. In der Krankenstation war der Boden mit Menschen übersät. Nur auf einigen Plätzen standen dort eiserne Bettstellen ohne Stroh, auf denen zwei Kranke lagen und oft noch zwei darunter. In der ganzen Station gab es keine einzige Decke oder ein Kissen. Jeder Gefangene erhielt nur einen Becher Wasser.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kamen aufgrund der katastrophalen Zustände in den russischen Lagern mehr als 80 Prozent der deutschen und österreichischen Gefangenen durch Seuchen, Hunger und Kälte um. Brändström kümmerte sich um Lebensmittel, Decken, Medikamente, Geld und Zuspruch. Der Lagerkommandant von Tobolsk in der sibirischen Tundra beispielsweise wurde abgesetzt, weil er deutsche und österreichische Gefangene misshandelt hatte.

Den Kriegsgefangenen, die fern der Heimat und ohne Nachricht von ihren Verwandten unter harten Bedingungen in dumpfer Verzweiflung dahinlebten, erschien die hochgewachsene, blonde junge Schwedin, die mit tatkräftiger Hilfe zu ihnen kam, wie ein Engel. Als Elsa Brändström selbst an Flecktyphus erkrankte, beteten in den Lagern die Gefangenen für ihre Genesung.

Im revolutionären Umbruch 1917 waren noch immer etwa 200.000 Kriegsgefangene in Sibirien völlig von der Welt abgeschnitten. Trotz der Warnungen des russischen Revolutionärs und Politikers Leo Trotzki (1879/1940) brach Elsa Brändström mit schwedischen und deutschen Schwestern nach Sibirien auf und wurde dort 1918 während des Aufstandes der Tschechen als Spionin verhaftet und ins Gefängnis geworfen.
1920 internierte man wiederholt sie in Omsk, anschließend kehrte sie nach Schweden zurück. 1920 kehrte Elsa Brändström über Stettin nach Schweden zurück. In ihrem Buch Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien (1920) und in Vorträgen rief sie die schwedische Bevölkerung zu neuer Hilfe auf. Ein Teil der Spenden in Höhe von insgesamt zweieinhalb Millionen Kronen ging sofort nach Sibirien. Mit einem anderen Teil erwarb Elsa Brändström 1922 das Moorbad Marienborn-Schmeckwitz bei Kamenz in Sachsen und die Schreibermühle bei Lychen (Uckermark) nördlich von Berlin, das sie als Arbeitssanatorium für ehemalige Kriegsgefangene aus Sibirien einrichtete.

Auch den Kindern der in Kriegsgefangenschaft gestorbenen Väter galt Elsa Brändströms Sorge. 1923 sammelte sie während einer sechsmonatigen Vortragsreise in den USA rund 100000 US-Dollar, mit denen sie in der Inflationszeit nach Deutschland zurückkehrte und das Schloss Neusorge bei Alt-Mittweida in Sachsen pachtete, das sie als Kinderheim für Kriegswaisen und Kinder ehemaliger Kriegsgefangener einrichtete.
Für ihre aufopfernde Arbeit verlieh die Universität Tübingen Elsa Brändström den Ehrendoktortitel. Der deutsche Diplomat Harry Graf Kessler (18681937) bezeichnete sie 1926 als Die nordische Jeanne dArc. Nach einer Russlandreise heiratete Elsa Brändström 1929 den Dresdener Pädagogen Dr. Robert Ulich (18901977). Ihr Mann war als Ministerialreferent im Sächsischen Ministerium für Volksbildung für die Hochschulen des Landes Sachsen zuständig und lehrte zugleich an der Technischen Hochschule Dresden in der Kulturwissenschaftlichen Abteilung als Honorarprofessor für Praktische Pädagogik. 1931 verkaufte Elsa Brändström-Ulich die Schreibermühle Lychen und gab das Heim Neusorge an den Leipziger Fürsorgeverein ab. Damals wurde die Elsa-Brändström-Werbegemeinschaft der Frauen, ein Fonds für Studiengelder ehemaliger Neusorger, gegründet. 1932 brachte Elsa ihre Tochter Brita zur Welt.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 trat Robert Ulich, der seit 1919 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) angehörte, aus dem Staatsdienst aus und legte auch seine Honorarprofessur nieder. In jenem Jahr erlebte Elsa Brändström- Ulich, dass die Biographie ihrer Freundin Elsa Björkman-Goldschmidt über den Engel von Sibirien nicht gedruckt wurde, weil sie mit einem Sozialisten verheiratet war und dies nicht ins Verlagsprogramm passte. Als das Ehepaar 1933 beschloss, mit seiner Tochter in die USA zu emigrieren, versuchte Nationalsozialisten (Göring, Hitler) die berühmte Humanistin von diesem Schritt abzuhalten, und lud sie zu einer Unterredung auf den Obersalzberg ein. Sie sollte als Botschafterin für das NS-Winterhilfswerk arbeiten. Die von Elsa Brändström-Ulich per Telegramm übermittelte Antwort lautete kurz und klar Nein. Im Januar 1934 folgte Professor Ulich einem Ruf der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) und verließ zusammen mit Frau und Tochter Deutschland. In Amerika unterstützte Elsa Brändström-Ulich deutsche Emigranten. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches setzte sie alle Hebel in Bewegung, um notleidenden Deutschen zu helfen. Ihr privates Engagement in den USA war Grundlage und Richtungs- weisend für Hilfsorganisationen wie CARE Internatonal.

Die evangelische Kirche trat damals mit der Bitte an sie heran, ob sie in Deutschland die Arbeit in der Kinderfürsorge nach dem Vorbild des Heims Neusorge wieder aufnehmen wolle. Doch die Besatzungsmächte verweigerten ihr den Pass. Der Wunsch Elsa Brändström-Ulichs, Deutschland wiederzusehen, ging nicht mehr in Erfüllung. Sie wurde schwer krank und starb am 4. März 1948 im Alter von 59 Jahren in Cambridge (Massachusetts). Man setzte ihre Urne auf der elterlichen Grabstätte in Stockholm bei.
Elsa Brändström in Russland, aus Briefen:
„Von den 25.000 Kriegsgefangenen in diesem Lager sind 17.000 gestorben. Ich habe viele der Leidensstationen der Gefangenen erlebt. Nishne-Udinsk, Krasnojarsk, das fast noch schlimmer war als Srjetensk, wo in einem Winter über die Hälfte der Gefangenen starb, wo die großen viereckigen Gruben der Massengräber einfach offen blieben, bis man sie mit Leichen vollgekippt hatte. „

… schrieb Elsa Brändström rückblickend über die Zustände in den sibirischen Kriegsgefangenenlagern.

„Ein zufriedener Mensch“, so schrieb sie einmal, „besitzt die Fähigkeit der Selbstkontrolle, aber nicht jene Art der Selbstkontrolle, die darin besteht, alles zu ertragen und mit allem zufrieden zu sein, sondern vielmehr jene Selbstkontrolle, die die Fähigkeit gibt, zu kämpfen, zu warten und langsam, ohne Selbstgerechtigkeit, ans Ziel zu kommen. Ein zufriedener Mensch besitzt die Kraft und die Stärke, die nötig ist, das Leben nicht zu fürchten.“
Als die Tübinger Universität der Schwedin Elsa Brandström den Ehrendoktor der Rechte verlieh, hieß es in der Urkunde: „. . . die den Geboten des Herzens folgte, mutig aufstand für die Unterdrückten und Schwachen, die siegreich das Menschenrecht gegen Macht verteidigte, die Brücken von Nation zu Nation und von Mensch zu Mensch schlug, die mächtiger waren, als das Gesetz sie je errichten kann.“